Gedanken eines ehemaligen Knappen - oder: aus dem Leben des Sir Veyt van Roth[]
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Teil 22[]
Tunnel, der. Maskulin. Substantiv. Wort aus 6 Buchstaben.
Eigentlich ein harmloses Wort, mit mehreren Bedeutungen.
1. unterirdisches röhrenförmiges Bauwerk, besonders als Verkehrsweg durch einen Berg, unter einem Gewässer hindurch o. Ä.
2. unterirdischer Gang
3. Lebensraum von Zwergen
4. in Metern gemessene Maßangabe für Paarungseignung bei zwergischen Männchen, zu vergleichen mit Balzvoraussetzungen
Ein Tunnel konnte vieles sein.
Trocken. Warm. Beleuchtet.
Durchgehend.
Oder lang.
Vielleicht auch länger..
.oder dunkel...
..und .. eng......
......womöglich...zugeschüttet....
.......und nass.......
Mit Wasser vollgelaufen?
vielleicht... EINSTURZGEFÄHRDET?
Veyt schüttelte das unwohle Gefühl ab dass ihm die Nackenhaare zu einem perfekten Neunzigradwinkel aufstellte.
Der Tunnel.
Ein leises Rumpeln hallte aus der Ferne. Am Horizont türmten sich Gewitterwolken zu bedrohlich wirkenden Ausmaßen an, welche langsam aber sicher das Sonnenlicht aus der ihm bekannten Welt verbannten, als wäre er geradewegs den ersten Schritt in eine dunkles, finsteres, unbekanntes, Reich eingetreten was weit, weit unter die Erde reichte, noch viel weiter als weit.
Der Tunnel!
Jedesmal wann er die Augen schloss konnte er die Finsternis, die ihn bald erwartete, schon vor sich sehen.
„Pack deinen Rucksack“, hatte Sir Tagros gesagt. „Und pack Wollsachen ein.“
Ein Tunnel im Eis vielleicht? Das würde Sinn machen. Aber es würde auch Sinn machen wenn der Tunnel in der größten Hitze wäre und die schweren Wollsachen ihm als Ballast auf dem Rücken Demut lehren sollte. Würde beides zu Tagros passen. Leider. Vielleicht würde er sich auch darin eingewickelt durch Flammenwände werfen müssen oder sich vor dem Erfrieren schützen. Wobei man einer Schicht Wolle nicht soooo viel Schutz gegen Dauerfrost nachsagte. Also hatte er besser noch 2 Schichten mehr eingepackt.
Da stand er nun. Der Rucksack. In der Ecke neben seinem Stuhl im Ordenshaus. Und wartete.
Wartete auf die Finsternis des Tunnels.
Veyt hatte keine Angst. Im Leben nicht! Er übte regelmäßig auf dem Weg zum Waschraum mit baren Füßen und geschlossenen Augen über den kalten nassen glitschigen Boden zu gehen. Neulich war er dabei auf einen Käfer getreten. Während er die Käferreste von der Fußsohle entfernt hatte, ließ er sich die Sache nochmal durch den Kopf gehen. Eigentlich war es sehr unwahrscheinlich, dass sie barfuß losmarschieren würden. Von seiner logischen Schlussfolgerung angetan war er ab da nur noch mit Schuhen und geschlossenen Augen über den nassen glitschigen Boden gegangen. Viel besser.
Naja.
Bis er Pater Hetherions Seife gefunden hatte. Mit dem Fuß. Er hatte zwei Tage gebraucht bis er sich wieder in normalem Tempo irgendwo hin setzte.
Es war aber auch zum Aus der Haut fahren. Immer und immer wieder hörte er Vater und Sir Tagros vom Tunnel reden. Als er das erste Mal Sir Arken danach gefragt hatte, hatte ihn dieser mit einem Seufzen angesehen, die Hand auf die Schulter gelegt und ihm aus tiefstem Herzen in aller Ehrlichkeit gestanden, dass es schön gewesen war, ihn gekannt zu haben.
Irritiert über diesen spontanen Anfall von Zuneigung und Mitleid hatte er sich aufgemacht, die zu fragen, die die Antwort am ehesten kennen mussten. Die Kathul.
Das Ergebnis hatte sich sehen lassen können. Zumindest teilweise. Unuk sah er nicht lange genug, da sie mit einem Kreischen aus der Tür rannte und um die Ecke war, ehe er sie darauf hinweisen konnte, dass ihre fallengelassene Waffe noch gemächlich in den Dielen der Baracke vor und zurück wippte. Jazzey hatte alle Hände voll zu tun, ihren Hund, der sich schwanzeinkneifend unter dem Feldbett verkoch als hätte er eben einem Skunk am Arsch geschnüffelt, wieder ans Tageslicht zu zerren. Wintram hatte alle Farbe im Gesicht verloren und war spontan dazu übergangen, den Erste-Hilfe-Koffer zu sortieren und inspizieren, indem er besonders den Wundalkohol auf Konsistenz und Füllstand prüfte. (Anm.: Muss nachgefüllt werden.) Und Gomore hatte ihn angesehen als habe er ihn eben gefragt, wo bitte es zum Richtplatz ginge, er habe eine Verabredung mit einem Mädchen namens Gil Jotine. Der einzige, der ansatzweise erklärend war, war der alte Telgor, der ihm mit einem traurigen Gesicht die Hand auf die Schulter gelegt hatte, also während Veyt saß, und seufzend meinte: „Erste Regel: Was im Tunnel passiert, bleibt im Tunnel, jaja.“
So blieb Veyt nichts weiter übrig als zu warten. Und zu warten. Und zu warten. Auch wenn es manchmal lästig war, seiner Frau zu erklären, warum nachts eine Kerze im Zimmer brannte.