Cecilia wusste nicht, ob sie in Ohnmacht gefallen war, oder lediglich einschlief in der Hoffnung aus einem skurilen Traum zu erwachen und einfach wieder ihrer Arbeit im Büro nachzugehen. Es war kein Traum. Neben ihr saß Ayda in der Kutsche. Sie fuhren. Verschlafen rückte Cecilia etwas ab. Sie spürte die Blicke auf sich und überlegte ernsthaft, einfach aus der Kutsche zu springen und sich hinter einem Busch zu verstecken. Als sie aufsah pochte ihr Herz. Der rotblonde Typ - Lhorean, saß genau gegenüber von ihr und grinste sie unverschämt an. In seinen Händen spielte er mit dem Langmesser, dass Thorn dem toten Banditen abgenommen hatte.
"Du hättest dir ernsthaft weh tun können." Wieder dieses empörende Duzen. Er hat genauso wenig Benehmen wie sein Bruder, dachte Cecilia. Auch wenn seine raue, männliche Stimme sie betörte. Obwohl er über sie spottete. Wie sie wohl klingen würde wenn... "Es sah nicht aus, als könntest du damit umgehen." Jetzt ging er zu weit. Lady Thorn verscheuchte alle romantischen Gedanken. Noch bevor Cecilia ihm ihre Meinung geigen konnte, sprach Samira Silberschwur. Es war eher ein Schnurren. "Lhorean mein Lieber. Lass doch unsere neue Freundin in Frieden. Ich denke sie muss erst einmal verarbeiten, was geschehen ist. Und schließlich hatte sie die Courage helfen zu wollen. Das ist doch schon mal mehr, als man von einem einfachen Menschen erwarten könnte, nicht wahr?" Cecilia war das ganze sehr unangenehm. Und ihre Freundin war sie sicherlich auch nicht. Sie war sich nicht einmal mehr sicher, ob die beiden Geschwister waren. So wie sie ihn ansah, musste da mehr dahinter stecken. Das geht dich aber gar nichts an, ermahnte Cecilia sich selbst. Noch immer sah Lhorean Cecilia unverwandt an, bis ihn Samiras Ellenbogen in der Seite traf. Er kletterte aus der Kutsche und sprang ab. Thorn sah ihm nach. Hale führte während des Reitens ihr Ross, Fynn den Reitvogel seines Bruders. Eine Hand drückte die Frau plötzlich sanft. Ayda lächelte. "Entschuldigt meine Söhne. Ungehobelte Bauern manchesmal, doch stets mutig wie Falken." Wie Falken? Seltsame Redewendung. Nun wusste sie wenigstens, dass Ayda die Mutter war. Doch es konnte ihr egal sein. Sie würde pflichtgemäß warten, bis die Hochelfen untergebracht waren und dann hoffentlich die Kooperation beenden. Diese Leute waren ihr einfach nicht geheuer. Der Kutscher, der Cecilia in seiner grauen Arbeitskluft nicht mal zuvor beim Überfall aufgefallen war, richtete seinen Zylinder, bevor er kratzig rief. "Wir schlagen nun die Straße ein zum Süderstader Rathaus."
Thorn wurde erst bewusst, als sie sich nicht mehr auf die Hochelfen konzentrierte, dass es tiefste Nacht war. Die Damen stiegen aus und wurden von einer mopsigen ergrauten Frau begrüßt, die ihnen mit einer Laterne entgegen eilte. Ihr Gesicht war zerfurcht von Lach- und Sorgenfalten und machten es sehr sympathisch. Ihr Haar, dessen Strähnen in unterschiedlichen Grautönen pigmentiert war, hatte sie stets zu einem lockeren Dutt zusammengebunden. Sie wackelte mit der kleinen klobigen Gnubbelnase. "Endlich seid Ihr da, wir haben uns solche Sorgen gemacht." Arme Greta, dachte Cecilia. Sie hätte ihr niemals zugemutet, bis so spät in der Nacht auf Arbeit verweilen zu müssen. Zum Glück wohnte sie in Süderstade. Cecilia wünschte ihr die Rente vom ganzen Herzen. Vor einigen Jahren war ihr Haus von wilden Irren abgefackelt worden. Kurze Zeit später wurde ihr Mann, Henry Yates arbeitsunfähig. Er hatte mindestens 40 Jahre in der alten Mine, nahe Süderstade geschuftet. Es war ein Wunder, dass er überhaupt so lange lebte. Seit dem arbeitete Greta so viel es ihr möglich war als Verwalterin im Rathaus, um mit ihrem Mann über die Runden zu kommen. Cecilia nahm ihr oft unentgeltlich die Arbeit ab, ohne es dem Magistrat zu verraten.
Als die Männer die Reittiere gemeinsam mit dem völlig überforderten Stalljungen Tobi untergebracht hatten, stießen sie dazu. Hale verneigte sich tief vor Greta. Cecilia musste lachen, als ihr das jugendliche Funkeln in den Augen der alten Dame auffiel.
"Alles bestens." sagte Lhorean und Lady Thorn war froh, dass die Hochelfen nicht vor hatten Greta mit den Komplikationen auf der Hinreise vertraut zu machen und somit noch mehr zu beunruhigen.
Man sah der Stadt an, dass sie seit dem frühen Morgen auf Hochglanz gebracht wurde. Cecilia fragte sich, wie viel Gold der Magistrat für die Unterkunft der Gäste investiert haben musste.
Greta rief mit einer schrillen Stimme die Frau des Gastwirtes. Cecilia war plötzlich nicht mehr danach, nach Hause zu reiten, dafür herrschte zu viel Chaos in ihrem Kopf. Sie würde sich nun höflich verabschieden und sich bis zum morgigen Tag im Büro nützlich machen und sich dann den halben Nachmittag frei nehmen. Das war zumindestens ihr Plan, bis die kleine wurstige Hand der Verwalterin Yates auf ihren Hintern zu spüren war und sie in die Richtung des Gasthauses schob. "Hum.. Was zum.." "Es ist höchste Zeit fürs Bett, mein Kind. Auch für dich wurde ein Zimmer vorbereitet. Nun aber hopp. Du denkst doch nicht, dass ich dich den weiten Weg bis nach Hause gehen lasse." Noch bevor Cecilia ihren Einwand äußern konnte ging sie bereits gemeinsam mit der Gastwirtin und der Silberschwur Familie die Treppe zu den Zimmern hinauf. Tatsächlich wurden die alten Holzmöbel durch orientalisch anmutende Sessel und Tische ersetzt. Die Betten waren ein Traum aus Samt und Tüll. Es passte trotzem nicht mit der altmodischen Vertäfelung an den Wänden zusammen. "Alles geliehen. Schick, nicht?", wisperte ihr Linda, die Gastwirtin zu. Benommen von all den Eindrücken nickte Cecilia nur und nahm das Zimmer, das übrig blieb. Als sie sich der Etikette entsprechend verabschiedete schloss sie die Tür hinter sich, ohne den Schlüssel umzudrehen. Sie war sich sicher, dass ihr Zimmer nicht so prunkvoll sei, wie das der Gäste, doch schon das was sie in ihrem Zimmer sah ließ sie erschaudern. Sie wusste nicht, ob es Bewunderung oder Abscheu war.
Sie öffnete das Fenster und ließ die frische Nachtluft hinein. Es war als würde eine Schlinge um ihren Hals platzen und endlich konnte sie sich etwas entspannen. Cecilia nahm die Weinkaraffe vom Nachttisch und befüllte den Kelch, der unmittelbar daneben stand. Der Wein war etwas zu süß nach ihrem Geschmack. Sie stellte sich wieder vor das Fenster und hoffte, dass der Wein sie bald schläfrig machen würde, als die Tür aufging.