Lächelnd streichelte sich Isabella über ihren fülligen schwangeren Leib. Das Baby bewegte sich in ihr vergnügt. Sie stand von dem Küchenstuhl auf und begann den Frühstückstisch abzuräumen. Alice half ihr dabei. Fröhlich schwatzen die beiden Frauen bei der Arbeit. Bald würde Valérius wieder eintreffen. Die Vorfreude in Isabellas Gesicht war nicht zu übersehen. Seit etwa einem Monat waren sie nun getrennt. Als die Arbeiten erledigt war und der Kürbiseintopf auf der Feuerstelle schmorte verabschiedete sich Alice und Isabella setzte sich mit ihrer Stickarbeit ans Fenster. Dann ließ sie ihre Gedanken schweifen.
Titus Valérius Corvus. Stolzer Paladin im Dienste der Argentumdämmerung. Als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, hatte sie gewusst sie: Das ist er. Obwohl er viel älter war als sie, viel erfahrener und gelehrter hatte sie ihn haben wollen. Sie hatte ihn auf diese ganz subtile Art verführt. Bei dem Gedanken daran lächelte sie leicht. Sie hatte zumindest geglaubt, ihn verführt zu haben. Bis ihr klar wurde, dass auch er sie verführt hatte. Sie hatte das Gespräch mit ihm gesucht. Als Schülerin im Magiersanktum war sie durchaus gebildet. Sie hatte schnell bemerkt, dass auch ihm die Gespräche mit ihr gefielen. Aus Gefallen wurden tiefere Gefühle auf beiden Seiten. Irgendwann hatte er ihr scheu einen ersten Kuss gestohlen und sie hatte ihn ermutigend angesehen. Recht bald danach hatte er sie bei einem Waldspaziergang um ihre Hand gebeten. Isabella hatte das Herz bis zum Hals geschlagen, als sie sich ihm versprach. Sie lächelte versonnen. Ja, die Liebe ist ein Spiel, das man verstehen muss. Gleichzeitig ist die Liebe das, was wirklich ernst ist, das was im Leben zählt. Valérius liebte sie und sie liebte ihn. Das war das einzig wichtige in ihrem Leben. Schon einen Monat später heirateten sie in der Kathedrale. So, wie es sich für einen geachteten Paladin ziemte. Valérius hatte sich aus dem aktiven Dienst zurückgezogen. Er wollte sich seiner Familie widmen und eine kleine Apfelplantage aufziehen. Isabella schaute aus dem Fenster auf die kleinen Apfelbäumchen, die aufgereiht in dem kleinen Garten standen. Ja, es würde ein schönes Leben werden.
Kurz nach der Hochzeit war Isabella schwanger geworden. Und nachdem die ersten, die kritischen Monate vergangen waren, beschloss Valérius eine Pilgerreise zu Uthers Grabmal anzutreten. Dort wollte er um den Segen für die Schwangerschaft bitten. Isabella hatte zwar leise Angst im Herzen, ihren Mann ziehen zu lassen, sie wusste um die Gefahren, aber sie liebte ihn zu sehr, um ihn daran zu hindern. So beschwor sie ihn, vorsichtig zu sein.
Am Abend vor der Abreise lud sie auch seine Begleiter zum Essen ein. Falko, der beste Freund ihres Mannes, der den Tross anführen sollte, Armin, Ludger, William, Eric und Daniel. Alles Paladine der Argentumdämmerung und ehemalige Kameraden von Valérius, samt ihren Frauen. Der Abend war heiter und dennoch, die Angst nagte leise an ihr. Am Morgen brachen die sieben Männer auf. Falko versprach ihr, auf Valérius aufzupassen und küsste ihr die Hand. Valérius küsste sie zum Abschied leidenschaftlich und streichelte ihr den Bauch.
„Ich liebe dich, Isabella, und ich freue mich, wenn ich wieder bei dir bin. Mach dir keine Sorgen, ich bin in einem Monat wieder bei dir.“ „Ich liebe dich auch, Valérius, komm schnell wieder heim.“
Valérius nickte und ging los. Isabella sah den Männern nach, bis sie nicht mehr zu sehen waren. Am Nachmittag war Alice gekommen und hatte ihre Hilfe angeboten. Alice, die gute Seele. Isabella hatte die Hilfe gern angenommen, denn sie wurde immer fülliger und wollte die schweren Arbeiten zum Schutz des Kindes nicht mehr machen. Isabella strich zärtlich über ihre Stickarbeit: Eine Babydecke. Vielleicht wäre Alice heute zum letzten Mal hier gewesen, vielleicht würde Valérius heute nach Haus kommen.
Sie schaute sich um. Die Holzdielen waren frisch geputzt, es roch nach dem Kürbiseintopf, den Valérius so gern aß, Auf dem Küchentisch stand ein Strauß Wildblumen. Beruhigt nickte Isabella sich selbst zu. Wenn er heute heimkommt, dann kann er sich freuen.
Plötzlich klopfte es an der Tür. Isabella legte ihre Stickarbeit weg und flog nahezu zur Tür, riss sie erwartungsfroh auf, in der Gewissheit, Valérius vorzufinden. Das Lächeln gefror ihr im Gesicht, als sie Falko vor sich sah, der sie betrübt ansah. Isabella warf die Tür zu.
„NEIN!“ schrie sie. „Nein, das darf nicht sein!“ Behutsam wurde die Tür von außen geöffnet. Falko trat ein, einen blutverkrusteten verbeulten Helm in der Hand. Mit brüchiger Stimme sagte er: „ Es... tut mir leid, ich... ich habe versagt.“ Isabella schaute ihm ins Gesicht. Tränen traten ihr in die Augen.
„Das kann nicht sein.“ Wiederholte sie. Dann blickte sie auf den Helm. Unverkennbar Valérius Helm. Und sein Blut. Isabella begann hilflos zu schluchzen und sank in Falkos Arme. Dieser schluckte schwer und führte sie zu ihrem Sofa, wo er sich mit ihr niederließ und sie hilflos streichelte und versuchte die richtigen Worte zu finden.
„Es ging alles so schnell.“ Begann er mit leiser Stimme. „Die Untoten überfielen uns kurz vor Uthers Grabmal. Sie waren in der Überzahl. Valérius konnte einige von ihnen erledigen und wir kämpften alle tapfer. Valérius griff grimmig sein Schwert und kämpfte wie ein Stier, aber der Untote rammte ihm das Schwert in die Brust, ich weiß gar nicht, wie das ging, ich... es war so... und auch Ludger lag auf einmal tot neben mir...Ebenso Armin... Wir übrigen versuchten zunächst mit den gefallenen Kameraden zu flüchten, aber es gelang nicht, wir mussten sie liegen lassen und uns zurückziehen. Wir konnten uns ganz knapp retten.“ Falko schluckte schwer. „In der Morgendämmerung wollten wir zusammen mit den Soldaten des Chillwindlagers die Körper holen um sie anständig bestatten zu lassen, aber sie waren fort. Alles, was noch da war, waren drei große Blutlachen und der Helm, Ludgers Schwert und Armins Schild. Ich... ich weiß nicht, was passiert ist... ich... wir... wir konnten nichts tun...“ Tränen standen in Falkos Augen. Isabella wurde von hilflosen Weinkrämpfen geschüttelt. In kurzer Zeit hatte sich ihr Leben vom Paradies in die Hölle verwandelt. Falko konnte nichts tun um sie zu beruhigen, also trug er sie ins Bett, deckte sie zu und ging kurz nach draußen. Er bat Eric, ins Dorf zu gehen und Hilfe zu holen. Er konnte Isabella nicht allein lassen. Eine schwangere Frau die einen solchen Schock erlebt hat, brauchte nun Hilfe. So beauftragte er Daniel und William Armins Frau aufzusuchen. Ludger war glücklicherweise nicht verheiratet und hatte auch sonst keine Familie mehr gehabt. Zwei Frauen den Tod ihrer Männer beibringen zu müssen war schon hart genug. Aber schlimmer war noch, dass niemand wusste, was aus den Leichen geworden ist. Falko ahnte schreckliches, aber er konnte es nicht aussprechen. Er ging zurück ins Haus und setzte sich in den Ohrensessel im Schlafzimmer. Isabella hatte sich auf dem Bett zusammengerollt und schlief unruhig. Hin und wieder wurde sie von einem Schluchzen geschüttelt. Falko weinte. Er weinte um den Freund, den er verloren hatte, um das Unglück, das er nicht hatte abwenden können. Er weinte um Isabella und das Baby die nun ohne Ehemann und Vater auskommen müssten. Irgendwann schlief auch er erschöpft ein.
Es war Nacht, das Ziel war fast erreicht. Die vermummten Männer schlichen fast lautlos durch die Pestländer. Doch scheinbar nicht leise genug. Ein markerschütternder Schrei durchdrang die Luft und die scharfen wachen Augen der Paladine sahen sich von Untoten umzingelt. Grimmig griffen sie nach Schilden und Schwertern und kämpften sich durch die Übermacht. Einige Feinde fielen doch dann fiel der erste von ihnen. Valérius kniete neben Armin und wollte ihm aufhelfen, doch Armin war bereits tot. Falko schirmte Valérius Körper ab, dann warf die Wucht eines Pfeils ihn nach hinten weg. Valérius brüllte vor Zorn und griff sein Schwert fester. Damit metzelte er mehrere Untote nieder.
„Komm zu mir, Paladin, ich biete dir mehr Macht, als du dir vorstellen könntest.“
Diese Stimme hörte Valérius in seinem Kopf. Er schüttelte den Kopf und begann damit, sorgfältig seine Erinnerungen vor allem an seine Frau, zu verdrängen, in den kleinen Teil seines Gedächtnisses, dass er in der Lage war vor allen Einflüssen zu verschließen. Die Stimme wurde immer drängender. Mittlerweile war Falko wieder auf den Beinen und William und Eric kämpften Rücken an Rücken. Ebenso Daniel und Ludger. Doch auf einmal fiel auch Ludger. Daniel verlor den Halt und fiel auf die Knie. Falko eilte zu ihm um ihm aufzuhelfen. Aus den Augenwinkeln sah er einen Untoten, der Valérius von hinten erschlagen wollte. Er schrie auf und wollte Valérius warnen, doch zu spät. Von hinten bekam Valérius einen Stoß und fiel nach vorn in die Klinge eines anderen Geißeldieners. „Ich bekomme immer was ich will.“
Die Stimme in seinem Kopf war das letzte, was er wahrnahm, dann starb er.
Sofort zogen sich die vier übrigen zurück Es gelang ihnen gerade so zu fliehen. Im Chillwindlager berichteten sie von den Ereignissen und wollten sofort zurück, die Leichen der toten Kameraden holen, doch sie wurden zurückgewiesen. Es ist zu gefährlich, man muss bis zur Morgendämmerung warten. Doch da war es zu spät, die Leichen waren weg. Bestürzt schauten sich die Paladine an. Jeder wusste, was das zu bedeuten hatte, aber keiner wollte es aussprechen.
Er öffnete seine Augen. Qualvolle Dunkelheit umgab ihn. Er ächzte und kam wackelig auf die Beine. Er versuchte sich zu erinnern, wo er war und wie er hier hin kam, aber ihm fiel nicht mal ein, wer er war. Ja, er konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, was er war. An eines konnte er sich erinnern: An den Blutrausch des Kampfes. An die Euphorie wenn ein Feind starb. Wer waren seine Feinde? Warum musste er kämpfen? Und warum lag er dann hier? Nutzlos und ohne Erinnerung? Sein Kopf fühlte sich an als wolle er explodieren. Er sah sich um. Seine Augen hatten sich an die eisige Dunkelheit gewöhnt.
Dann sah er ihn. Eine Gestalt von solcher Größe, wie sie ihm noch nie begegnet zu sein schien (oder konnte er sich bloß nicht erinnern?) Dieser Mann schaute ihn abschätzend an und gab dann einem Helfer ein Zeichen, der daraufhin ein Bündel Kleidung vor seine Füße warf. „Zieh das an, der Lichkönig erwartet dich!“ befahl der Mann mit einer Stimme, so dunkel, dass es ihm eine Wohltat war. Überhaupt schien auch das Dunkel um ihn herum mehr und mehr angenehme Gefühle in ihm hervorzurufen, die er nicht benennen konnte. Er zog die Kleidung an, die man ihm gegeben hatte und machte sich auf den Weg zu dem, den sie den Lichkönig nannten. Er musste nicht suchen, er wurde dorthin gesogen. Eine Welle von Gedanken durchflutete ihn und er freute sich darauf, dem Lichkönig gegenüberzustehen.
Als er ihn sah, fiel er auf die Knie. Sein Herrscher. Er wusste vielleicht nicht, wer er war oder warum er existierte, aber er wusste, dass dieser Mann dort sein Herrscher war. Er wusste, dass er alles für ihn tun würde. Unbewegt und abschätzend stand der Herrscher da. Nichts von ihm war wirklich sichtbar. Seine Rüstung umgab ihn und verlieh ihm zusätzlich eine Aura von Macht und abgrundtiefer Bosheit. Der Lichkönig nannte ihn Todesritter und sandte ihn zurück, zu dem Mann, der ihn eben hergeschickt hatte. Und nun hatte er eine Bestimmung: Er würde seinem Herrn dienen. Er würde Tod und Vernichtung ins Lager der Feinde bringen. Bei dem Gedanken an Mord und Kampf wurde ihm warm ums Herz. Das war seine einzige Erinnerung. Nun aber war er ein auserwählter Ritter des Königs. Er wusste nicht, was er getan hatte um solche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen aber er würde dafür sorgen, dass man sich an ihn würde erinnern können.
Er stapfte zurück zu dem Mann, der ihm als Razuvious, der Instruktor vorgestellt wurde. Dieser wies ihn an, sich eine Klinge zu besorgen. Er deutete auf einen Waffenstapel in der Nähe und wandte sich dann wieder ab um seinen Untergebenen zuzusehen, wie sie neue Ritter rekrutierten. Fasziniert starrte er einen Moment hinterher. Tote wurde wiedererweckt. Er sah sie und wusste, dass auch er tot gewesen sein musste. Dann sah er, wie einige der Auferweckten sofort wieder vernichtet wurden. „Zu viele Emotionen und Erinnerungen!“ rief der Instruktor.
Er freute sich, dass er keine Erinnerungen mehr hatte, außer denen, die wohl als gut erachtet wurden. Der Todesritter wandte sich ab und ging zu dem Waffenstapel. Da sah er es. Er wusste, dass er diese Klinge jederzeit wiedererkannt hätte. Zwar wusste er keinen Grund dafür, aber als er das Schwert in die Hand nahm fühlte er, wie das Leben in ihm pulsierte. Er ließ es probeweise in der Luft schwirren. Kein Zweifel, das war seines. Er hatte es einst selbst geschmiedet. „Das sind gute Erinnerungen.“ Sprach die Stimme des Lichkönigs in seinem Kopf. „Bewahre sie gut auf.“ Der Krieger straffte sich, nahm die Klinge an sich und ging zurück zum Instruktor. Dieser gab ihm unwirsch ein Stück Pergament. „Geh zu der Runenschmiede und schmiede diese Runen in dein Schwert. Entscheide dich für eine davon.“ befahl er ihm.
Sofort ging er zu der nahegelegenen Runenschmiede und sah sich das Pergament an. Da seine Hand sich an den Ablauf des Schmiedens gut erinnern konnte, würde es ein Leichtes werden, diese Runen darauf zu schmieden. Er ließ seine Finger über das Pergament fliegen. Jede der Runen berührte er fast zärtlich und spürte, was sie an seinem Schwert ausrichten könnte. Er entschied sich für die Rune der Kälte. Als er mit dem Schmieden begann zog Kälte in seine Seele. Er spürte das Eis an seinem Herzen nagen. Er spürte wie es durch seine Adern floss. Flüssiges Eis. Ein Hochgefühl stellte sich ein. Als es vollbracht war, sah er sich sein Schwert genau an. Ein eisiger Hauch umwehte es. Er nickte, zufrieden mit seiner Arbeit und ging zum Instruktor um seine Waffe vorzuzeigen. Dieser nickte nur knapp und wollte sich schon wieder seinen Nekromanten zuwenden, da fiel ihm etwas ein.
„Schon bald, Todesritter, wird sich der unaufhörliche Hunger Eurer bemächtigen - und wenn dies geschieht, werdet Ihr gewaltige Schmerzen erleiden. Es gibt nur ein Heilmittel gegen das Leid: Der Hunger muss gestillt werden.“ Er übergab ihm einen Schlüssel. Der Krieger schaute ihn an. Tatsächlich wütete in seinem innern nun auch ein sengender Schmerz. „Diejenigen, die der dunklen Bruderschaft unwürdig sind, werden ans Herz von Acherus gekettet. Befreit mithilfe des Schlüssels einen unwürdigen Initianden. Erlaubt ihm, seine Ausrüstung zu tragen und mit Euch um seine Freiheit zu kämpfen. Tötet: und der Schmerz wird aufhören. Versagt: und Ihr werdet für alle Ewigkeit leiden müssen. Lebt oder sterbt - die Wahl liegt bei Euch.“ Der Todesritter nickte und ging in die Arena. Er besah sich die Initianden genau. Sah nach ihren Muskeln, schaute in ihre schmerzverzerrten Gesichter. Instinktiv suchte er sich einen aus, der scheinbar schon lange dort hing. Ein Mensch. Dieser funkelte ihn an.
„Nun, ich gebe Euch die Gelegenheit auf die Ihr schon lange gewartet habt, Mensch. Lebt, oder sterbt – die Wahl liegt bei Euch.“ wiederholte er die Worte des Instruktors. Dann schloss er die Ketten auf und wartete, bis der Initiand seine Rüstung angelegt hatte. Dieser sah ihn hasserfüllt an. „Ich werde Euch töten. Und dann werde ich gehen.“ sagte er mit einer grimmigen Vorfreude. Der Todesritter nickte. Dann begann der Kampf um Leben und Tod. Die Gegner unterschätzten sich nicht. Vorsichtig umkreisten sie einander und hieben nur zu, wenn sie sicher waren. Doch dann gewann der Hunger überhand. Der Todesritter reckte seine Klinge und mit einem markerschütternden Schrei ließ er sie auf seinen Gegner niedersausen, der vor Schreck nicht reagieren konnte. Dies war sein Tod. Befriedigt von seiner Tat wischte er seine kalte Klinge an seinem Opfer ab. Die anderen Initianden kauerten sich angstvoll zusammen und der Todesritter lachte böse. Dann sah er den Instruktor, der ihn zu sich winkte.
„Der Lichkönig erwartet Euch!“ sagte er. Und tatsächlich, als er zum Balkon der Feste kam wartete stand der Lichkönig bereits dort und zeigte auf zwei große Kugeln links und rechts neben ihm. Die Augen von Acherus, wie er erklärte. Der Lichkönig befahl ihm, sofort eine dieser Sonden zu übernehmen um die Lage unter ihnen zu analysieren. Ohne zu zögern nahm er die Aufgabe an und ging zu einer der Sonden um das Auge zu kontrollieren. Sachlich berichtete er dem Lichkönig von seinen Beobachtungen dieser nickte und sagte: „Hört gut zu, Todesritter, denn was ich Euch mitzuteilen habe, wird einen Krieg auslösen. Mein endgültiges Urteil ist gesprochen: Tod - Allen. Niemand, der die Unverschämtheit besitzt, sich gegen die Macht der Geißel zu stemmen, darf ungeschoren davonkommen! Ihr habt mir bei Eurer ersten Aufgabe gut gedient, also sollt Ihr mir auch bei Eurer nächsten Aufgabe gut dienen. Bringt mein Urteil, meinen Befehl zu Hochlord Mograine. Er befindet sich auf der ersten Etage des Kommandopostens von Acherus. Sagt ihm, dass er den Angriff einleiten soll.“
Der Todesritter nickte knapp und bestieg die Transportplattform hinter seinem Gebieter. Eisige Kälte durchströmte ihn, als er sich dematerialisierte und auf der unteren Ebene wieder ankam. Direkten Schritts ging er zu dem Mann der in der Mitte der Festung auf einem Skelettschlachtross saß und übermittelte ihm die Botschaft. Der Hochlord schickte ihn zum Geißelkommandanten, der ihn aus der Nekropole schickte, wo er jetzt endlich seine Bestimmung erfüllen und kämpfen durfte. Prinz Valanar erwartete ihn bereits und befahl ihm die Soldaten und die flüchtenden Bürger zu töten. Kalte Vorfreude erfüllte sein Herz, als er an das Kämpfen dachte. Zwar hatte er noch nicht wieder das dringende Bedürfnis gehabt, aber er genoss es, den Tod zu bringen. Er eilte die Todesbresche hinunter und begann die Scharlachroten zu bekämpfen. Wann immer er einen flüchtenden Bürger entdeckte, streckte er ihn nieder. Das Flehen der zum Tode Verurteilten klang in seinen Ohren, Kampfeswillen stieg in ihm auf und machte ihn stärker, entschlossener. Er hörte das Lachen des Lichkönigs in seinen Gedanken und wusste, dass er hier gute Arbeit leistete. Er eilte zurück zum Prinzen, der ihn mit einem Ring entlohnte. Nun traten nach einander auch noch andere Gestalten an ihn heran und so mancher Auftrag war zu erledigen. Die nächsten Tage waren bestimmt von Kampf und Tod.
Endlich war es soweit: Er sollte sein eigenes Schlachtross bekommen. Salanar hatte ihn beauftragt, ein Pferd aus den Ställen Havenaus zu stehlen. Lange stand er am Zaun und sah den Pferden zu. Die Auswahl war wichtig. Er konnte es sich nicht leisten einen lahmen Ackergaul zu nehmen. Immer wieder kamen schreiende Bürger vorbei, die flüchten wollten. Gelangweilt stach er den ein oder anderen nieder, einige ließ er laufen, wohl wissend, dass sich andere Todesritter um sie kümmern würden. Und wieder hörte er das leise Lachen in seinen Gedanken. Schließlich hatte er einen schwarzen Hengst entdeckt und auserkoren. Leise und bedächtig schlich er heran, wissend, dass der Stallmeister von der Aktion nichts mitbekommen durfte und das Pferd zudem ohnehin etwas nervös war. Als er nahe genug heran war, schwang er sich auf den Rücken des Pferdes, das leise protestierend wieherte. Aber, gewöhnt an Soldaten auf seinem Rücken, beruhigte es sich schnell und ließ sich willig zur Todesbresche führen. Salanar nickte anerkennend, als er den Hengst sah.
„Ich hätte von Euch nichts anderes erwartet. Dies ist das beste Pferd in Kitriks Stall.“ er lachte Dann verschwand das Pferd. Salanar erklärte ihm, dass es im Reich der Schatten sei, wo es getötet und per Nekromantie zu einem Todesstreitross werden würde. Er habe nun nurmehr die Aufgabe, ebenfalls das Schattenreich zu betreten und den Dunklen Reiter niederzustrecken, der andernfalls das Ross für sich beanspruchen würde. Salanar schickte ihn ins Schattenreich. Schlagartig wurde alles dunkel. Die Farben verblassten und auch die Gerüche waren nicht mehr vorhanden. Erstaunlich, erst jetzt fiel ihm überhaupt auf, dass es Gerüche gab, jetzt, wo er sie vermisste. Er konnte sich also nur noch auf seine Augen verlassen um seinen Hengst wiederzufinden. Er sah ihn. Prächtig aufgezäumt und der Dunkle Reiter auf ihm. Lautlos glitt er auf diesen zu und holte ihn mit einem gut geplanten Schwertstreich von seinem Hengst. Sofort ging der Reiter in Angriffsposition. „Töte sie alle!“ flüsterte der Lichkönig in seinen Gedanken. Die Stimme war so übermächtig, dass seine Kraft sich verdoppelte. Nach einem kurzen Geplänkel gab er dem Reiter den Todesstoß, schwang sich auf sein Ross und ritt zur Todesbresche, wo er Salanar rief, der ihn wieder in die Welt zurückholte. Die Gerüche strömten ihm entgegen. Tod, Verwesung, Blut und dergleichen füllten seine Nase. Vertraut. Die Farben explodierten in seinen Augen und er fühlte wie seine Seele nach Blut schrie. Er musste töten. Und das tat er dann auch.
Er wurde umhergeschickt, Informationen über den Scharlachroten Morgen herauszufinden. Nacheinander lernte er den Hochadel kennen. Prinz Kelseth, Baron Totenschwur, sie alle wollten ihn, brauchten ihn und für jeden durfte er töten. Unter anderem lernte er auch einen Todesritter kennen, der irgendwie anders war. Thassarian sorgte sich um einen der ihren. Koltira Todesweber war von den Scharlachroten gefangen worden und Thassarian schickte ihn, diesen zu befreien. Orbaz Blutbann, der Anführer in diesem Teil, schnaubte kurz und sagte: „Da Ihr ohnehin in die Festung müsst, könnt ihr den Auftrag erfüllen und diesen Schwächling retten, aber merkt Euch: Die Schwachen werden zurückgelassen, sie passen nicht in die Reihen der Geißel. Diesen einen könnt Ihr retten, wenn Ihr unbedingt wollt.“ Thassarian schaute ihn böse an, nickte dem Todesritter dann aber zu. „Geht! Holt Koltira da raus. Es könnte gefährlich werden, wenn die Scharlachroten etwas aus ihm herausfoltern würden...“ Blutbann schien von dieser Erklärung etwas versöhnter. Also ging er los und rettete Koltira Todesweber und riss auf dem Weg dorthin viele Feinde in den Tod.
Dann wurde er zur brennenden Kapelle gerufen. Der Gefängnisaufseher sprach von einer besonderen Überraschung. Er sollte das Todesurteil an einer bestimmten Person vornehmen. Heiter betrat er das Gefängnis. Die Menschenfrau stand ganz hinten in der Ecke. Mutig reckte sie ihr Kinn und wollte anfangen ihn zu beschimpfen. Dann stockte sie.
„Valérius.“ flüsterte sie. Dann fing sie an zu weinen. „Was haben diese Monster aus Euch gemacht? Wehrt Euch dagegen! Erinnert Euch daran, wer Ihr seid, wer ihr wart, vor Eurem Tod. Ihr wart ein Held, in Stumwind bekannt und geachtet. Sagt Euch los!“ Von draußen drang die ungeduldige Stimme des Aufsehers herein. „Was dauert das da so lange?“ „Ich bin gleich so weit!“ rief der Todesritter. Dann schaute er ungläubig. Diese Frau schien ihn zu kennen. Sie kannte seinen Namen. Er hatte einen Namen! Alles in ihm schrie danach, sie zu retten und sei es nur um mehr über sich herauszufinden. Zum ersten Mal seit seinem Erwachen hatte er nicht das Bedürfnis zu töten. Die Frau sah ihm ins Gesicht. „Valérius, ich bitte Euch, tötet mich jetzt, rasch. Für mich gibt es keine Rettung mehr, ich werde für Euch beten, aber bitte, erinnert Euch!“ Valérius nickte ein wenig traurig darüber, dass ihm tatsächlich nichts anderes übrig blieb, als diese Frau zu töten. Er selbst hatte sie nicht erkannt. Lustlos hob er sein Schwert und schlug ihr den Kopf ab. Sauber aber mit Bedauern. Dann straffte er sich, setzte seine eiskalte Mine auf und eilte zurück, den Kopf in der Hand und übergab ihn dem Aufseher. Dieser nickte befriedigt und warf den Kopf in die brennende Kapelle.
Valérius fragte sich, wie er nun etwas über seine Vergangenheit herausfinden könnte. Das konnte er nicht, solang der Lichkönig seine Gedanken kontrollierte. Diese Gedanken wären schon Hochverrat, das wusste er und er hatte wohl mehr Glück als Verstand, dass der Lichkönig im Moment anderweitig beschäftigt war. Er schob die Gedanken beiseite. Hunger nach Blut machte sich erneut in ihm breit und da er ohnehin keine Wahl hatte, tötete er weiter.
Dann kam der Lichkönig endlich zur Todesbresche. Havenau und Neu-Avalon waren so weit zerstört, dass nurmehr der Todesstoß fehlte. Ihm wurde ein Horn gegeben, mit dem er einen Frostwyrm rufen sollte und mit dessen Hilfe er die Kriegsgeräte vernichten und nebenbei so viele Menschen wie möglich töten sollte. Mehrere Todesritter taten es ihm gleich und so erhob sich ein Schwarm Frostwyrms um die Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Nach erfolgreicher Arbeit wurden die Todesritter belobigt und in die alles entscheidende Schlacht geschickt. Mit einer schieren Überzahl trafen Hochlord Mograine und seine Geißeldiener an der Kapelle des hoffnungsvollen Lichts ein. Geißelkommandant Thalanor gab den Befehl zum Angriff und so dezimierten sie die Anzahl der Feinde in kurzer Zeit drastisch. Der Kampf dauerte so lange bis Mograine auf einmal strauchelte.
Seine Klinge wandte sich gegen ihn und er konnte nichts mehr tun. Tirion Fordring musterte Mograine und lachte dann. Der Kampf war vorbei. Der Kampfeswillen gebrochen. Mograine ging vor dem Paladin auf die Knie. Dann folgte ein Schauspiel, welches Valérius nie vergessen würde. In ätherisches Licht gehüllt trat die Gestalt eines Paladins auf Mograine zu. Der kniende Todesritter verlor sein Bewusstsein, gleichzeitig schien er sich von sich selbst zu lösen. Sein sichtbarer Geist wanderte auf den lichterfüllten Paladin zu und sie sprachen miteinander. In dem Moment bemerkte Valérius, dass die Anwesenheit des Lichkönigs in seinem Kopf nicht länger da war. Erleichtert seufzte er auf. Wie ein Wasserfall fluteten Erinnerung in seinen Kopf. Getroffen von dem Leid, was er zugefügt hatte, sank er in die Knie. Er wusste wieder, dass er als Paladin geschworen hatte, Leben zu bewahren, nicht sie zu nehmen. Gebrochen kniete er ebenfalls vor Tirion Fordring, den er jetzt auch erkannte, und starrte ihn an aber nicht lang, da erschien der Lichkönig plötzlich und forderte Fordring zum Kampf.
Mograine kam wieder zu Bewusstsein und die Erscheinung war weg. Fordrings Klinge zerbrach unter der Wucht der Runenklinge des Gegners und Mograine rief ihm etwas zu, dann warf er die Klinge, die sich vor kurzen noch gegen den Todesritter gewandt hatte dem Paladin zu. Der Lichkönig wich zurück. Er war merklich geschwächt. Der Lichkönig versprach ein erneutes Zusammentreffen, welches nicht auf geweihtem Boden stattfinden würde. Mograine starrte ihm ebenso böse hinterher wie die Todesritter an seiner Seite. Dann straffte er sich, ging zu Tirion Fordring. Dieser schwor Rache. Mograine nickte und sagte: „Die Bruderschaft der Schwarzen Klinge wird in dieser Sache mit Euch zusammenarbeiten.“ Darauf wurden die Todesritter nach Acherus geschickt um die Nekropole von den übrigen Geißeldienern zu säubern. Ab sofort wären die Todesritter frei von Arthas. Mograine zeigte den anwesenden Todesrittern einen Zauber, mit dessen Hilfe sie ein Schwarzes Portal erschaffen konnten. Durch ein schwarzes Portal gelangten die Todesritter nach Acherus. Die Festung wurde sofort von allem befreit, was noch unter dem Einfluss des Lichkönigs stand. Dann rief Mograine eine Schar Todesritter zu sich. Er gab ihnen einen Brief von Tirion, welchen sie zum König nach Sturmwind bringen sollten. Valérius gehörte zu den abgesandten. Ein Portal stand bereit, welches die Abgesandten vor den Toren Sturmwinds absetzte.
Was nun folgte war ein Spießrutenlauf. Valérius schritt würdig durch die Stadt, er straffte sich, wann immer ihm beißende Worte hinterhergerufen wurden. Er ließ sich bespucken und mit Bananenschalen und dergleichen bewerfen, ohne eine Miene zu verziehen. Er wusste, dass genau dies ein Teil seiner Buße sein musste. Was er getan hatte, die Tode an Unschuldigen, die wogen viel schwerer, als das, was der Mob in Sturmwind mit ihnen anfing. Er wusste, dass er aufgeknüpft worden wäre, wenn er allein gewesen wäre. Auf dem Scheiterhaufen wäre er gestorben. Er fragte sich, ob es nicht vielleicht angenehmer wäre, als mit der Schuld zu leben. Es kamen immer mehr Erinnerungen an sein altes Leben zurück. Dann sah er ihn. Eine Sekunde blieb er stehen und musterte den Mann von Fern. Falko. Er senkte seinen Blick, obwohl man ihn unter dem Helm ohnehin nicht würde erkennen können. Falko, gemeinsam hatten sie gekämpft, eine Einheit gebildet wie Schild und Schwert. Gemeinsam waren sie nach Feierabend in den Tavernen eingekehrt und hatten gescherzt und getrunken bis er... schmerzvoll stöhnte er auf, als seine Erinnerungen an seine Isabella auf ihn einströmten.
Dann straffte er sich. Er hatte eine Mission zu erfüllen. Und dann würde er grausame Rache üben am Lichkönig, der ihm alles genommen hatte. Er sah sich um, seinen Todesritterkameraden schien es nicht viel anders zu gehen als ihm. Der König empfing sie äußerst ungehalten, als er aber den Brief von Tirion las, wurden seine harten Gesichtszüge ein kleines bisschen weicher. Er nickte und begrüßte die Todesritter, die Bruderschaft der Schwarzen Klinge als Verbündete. Er riet ihnen aber, sich unverzüglich auf den Weg nach Nordend zu machen, denn die Menschen hier seien nicht besonders gnädig. Man sah hier ehemalige Geißeldiener nicht gern. Valérius und die andern Männer nickten, gingen in einen kleinen Raum, den Varian ihnen zuteilte und eröffneten ein neues Portal. In Acherus berichteten sie. Dann machten sie sich auf den Weg, ihre Aufträge zu erfüllen. Nur nicht nachdenken. Zu seiner Frau zurückkehren konnte er nicht. Er war Abschaum, untot, alles, was er früher bekämpft hat. Nein, er konnte nicht zurück und seine Frau und sein Kind (Lebte das Kind?) gefährden. Der Hunger nach Blut plagte ihn noch immer. Nein, er könnte das seiner Isabella nicht antun. Er schüttelte den Kopf. Aber trotz allem musste er herausfinden, ob er letztlich doch noch Vater geworden war.
Als sie aufwachte spannte ihre Haut, ihre Stimme war kratzig und sie hatte leichte Bauchschmerzen. „Das Kind!“ war ihr erster Gedanke. Sie schaute sich kurz orientierungslos um, entdeckte Falko auf dem Ohrensessel neben dem Bett und die Erinnerungen kehrten mit einer unglaublichen Macht zurück. Ein Schatten legte sich auf ihre Augen. Dann erhob sie sich schwerfällig und ging zur Waschschüssel Sie wusch sich kurz übers Gesicht und schaute sich in dem großen Spiegel an. Alt sah sie aus. Über Nacht waren einige ihrer Haare grau geworden. Das hatte sie immer für ein Märchen gehalten. Der verkniffene Mund und die traurigen Augen taten ihr übriges. Dann meldete sich das Baby wieder. Sie weckte Falko auf und bat ihn, ihr zu helfen. Falko wischte sich die Augen aus und schaute sie traurig an. Dann ging er hinaus und holte Feuerholz hinein, feuerte den Kamin an und holte etwas Brot und Milch. Alice war gestern noch still gekommen, hatte den Eintopf vom Ofen genommen, hatte Tee gekocht und heute Morgen das Frühstück vorbereitet. Sie folgte Falko ins Schlafzimmer und sah, wie Isabella im Bett saß.
„Es tut mir leid, dass ich nicht in die Küche komme, ich habe Bauchweh und ich möchte mich nicht bewegen.“ Alice nickte. „Ich werde nach Hanna rufen. Sie soll sich das mal ansehen, nicht dass der Schock deinem Kind schadet.“ Isabella schluckte, streichelte sich über den Bauch und nickte dann, bevor sie mit Falko das Frühstück schweigend einnahm. Sie schauten sich zwischendurch an, aber keiner von beiden konnte etwas sagen. Isabella hatte keine Kraft mehr zum Weinen und so saßen sie da. Als sie fertig gegessen hatten räusperte Falko sich.
„Ich räume das hier weg.“ Sagte er und deutete auf das Geschirr. Isabella nickte. „Wenn Alice und Hanna da sind... dann kannst du gehen. Ich... möchte dann allein sein. Ich muss trotz allem stark sein für...für sein Baby.“ Sie schluchzte trocken auf. Falko nickte betreten. „Es tut mir leid, dass ich ihn dir nicht wieder lebendig mitgebracht habe. Es tut mir leid, dass ich dir nicht einmal seinen Körper zum Verabschieden mitbringen konnte.“ Isabella nickte und schaute ihn sanft an. „Keine Vorwürfe, Falko. Ihr habt Euer bestes gegeben, das weiß ich. Lasst mir... lasst mir den Helm hier. Zumindest den möchte ich aufbewahren.“ Falko legte ihr den Helm auf den Nachttisch und nahm dann das Geschirr in die Küche. Bald kamen auch Alice und Hanna zurück. Hanna war die Heilerin im Dorf, die Hebamme gleichfalls. Sie schaute nach Isabella und verordnete ihr strenge Bettruhe.
So blieb Isabella im Bett. Nachts weinte sie sich in den Schlaf, Alice wich nicht mehr von ihrer Seite. Zwang sie zum Essen, wenn ihr die Kraft fehlte, strich ihr über den Kopf um sie zu trösten. Tagsüber kamen die Frauen aus dem Dorf und halfen mit, waren für Isabella da. Besonders Armins Witwe Eliza kam oft zu Besuch. Es war tröstlich, mit jemandem zu sprechen, der den gleichen Verlust erlitten hatte. Trotz allem aber ging es Isabella besser. Sie hatte etwas von Valérius: Das Baby in ihrem Bauch. Und dank der Hilfe der Frauen aus dem Dorf wuchs und gedieh es prächtig. Isabella erholte sich etwas und eines schönen Sommertages wurde ihr ein kleiner Junge geboren. Doch eine tiefe Traurigkeit übermannte sie nach der Geburt. Da stand sie nun. Alleinstehend, mit einem Kind. Es war nicht so, dass sie arm gewesen wäre, nein. Sie bekam eine großzügige Witwenrente von der Argentumdämmerung, das Vermögen ihres Mannes war auch nicht gerade klein gewesen, aber alleine mit dem Säugling, den sie zwar sehr liebte, aber der auch sehr anstrengend war, war das Leben bei weitem nicht einfach. Eine Woche nach der Geburt durfte sie wieder aufstehen. Mutter und Kind hatten die kritische Zeit überwunden und waren zumindest körperlich wohlauf. Der Knabe schien die Verfassung seiner Mutter zu spüren und schrie selten. Ein braver kleiner Kerl. Isabella wusste, dass sie ihn bald taufen lassen musste. Über den Namen des Kindes hatten sie und Valérius noch nicht gesprochen, dabei war es Aufgabe des Vaters, dem Kind einen Namen zu geben.
Es war warm an diesem Sommertag. Isabella ging mit dem Baby hinaus in den Garten. Zärtlich streichelte sie ihrem Sohn übers Köpfchen und küsste ihn sanft. Er war schon drei Wochen alt. Die Apfelbäume verströmten einen süßen Duft. In wenigen Monaten würden die ersten kleinen Früchte daran gereift sein. Isabella griff nach dem Strohhut, den sie auf der Fensterbank liegen hatte und setzte ihn sich auf, zum Schutz vor der Sonne. Dann setzte sie sich auf die kleine Holzbank unter dem Fenster und summte traurig ein Lied. Der kleine Junge auf ihrem Arm schien andächtig zu lauschen. Isabella ließ den Blick schweifen. Unter einem der Apfelbäume lag Valérius Helm. Genauso, wie sie ihn bekommen hatte, hatte sie ihn sobald sie aufstehen durfte, unter diesen Baum gelegt. Der erste Baum, den er gepflanzt hatte.
Erst als ein Tropfen ihre Hand benetzte, merkte sie, dass sie weinte. Das Baby fing ebenfalls leise an zu weinen und instinktiv legte sie den Kleinen an ihre Brust, wo er sofort begann zu trinken. Lautlos weinte Isabella, ihren Sohn im Arm, ihren Mann im Herzen.
Als der Kleine eingeschlafen war, stand sie wieder auf. Sie ging zu dem Baum und kniete dort mit ihrem Sohn nieder. Leise erzählte sie dem schlafenden Baby von seinem Vater. Dabei streichelte sie sanft über den verbeulten Helm.
Plötzlich fröstelte sie. Sie blickte auf und sah noch einen Schemen hinter einem Baum im Wald verschwinden. Sie war sich nicht sicher, ob sie überhaupt etwas gesehen hatte. Das Frösteln war schnell wieder weg, trotzdem ging sie ins Haus. Etwas war ihr geschehen, sie konnte es sich nicht erklären, aber auf einmal wusste sie, wie das Kind heißen würde.
Er hatte seine Rüstung gegen eine lange schwarze Kutte getauscht. Die Kapuze zog er sich tief ins Gesicht. Der König hatte Recht behalten: Niemand wollte die Brüder der schwarzen Klinge in der Stadt haben. Vermummt bewegten sich die wenigen, die noch nicht in Nordend waren, schweigend durch die Straßen Sturmwinds. Valérius hatte einen Bestimmungsort: Sein altes Heim. Ein letztes Mal wollte er seine Frau sehen, bevor er sich aufmachte um Rache zu üben. Zum ersten Mal wollte er das Kind sehen, was Isabella ihm geboren hätte, wenn er noch lebte. Zähes Eis floss durch seine Adern und sein Herz schlug nur dank der unheiligen Magie. Seine Augen leuchteten unnatürlich und der helle Schein war selbst durch die Kapuze noch leicht zu sehen. Augen, die schärfer waren, als die eines Adlers. Er schwieg, denn der Hall in seiner Stimme hätte ihn unweigerlich verraten. Langsam und gebeugt ging er durch die Tore der Stadt. Es war warm. Die Wärme, das wusste er, tat ihm nicht gut. Aber er musste sie sehen. Musste wissen, ob es ihr gut ging.
Er ging durch den Wald. Zum einen konnte er es im Schatten besser aushalten, zum andern wollte er nicht gesehen werden. Am wenigsten von Isabella.
Isabella... Ihre langen roten Haare waren ihm als erstes aufgefallen. Sie hatte auf dem Markt gestanden, als er sie sah. Sie hatte Äpfel gekauft. Dann hatte sie sich umgedreht und ihre faszinierenden Augen hatten ihn fixiert. Sie war es. Er hatte nicht gewusst, wie er diese wunderschöne junge Frau erobern konnte, aber er hatte gewusst, dass das die Frau war, mit der er alt werden würde. Er lachte verächtlich über seine eigene Dummheit. Alt werden... Sie hatte ihn angesprochen. Ihre Art hatte ihm gefallen. Sie schien ihn zu mögen. Vielmehr, sie schien seine Nähe zu suchen. Immer öfter hatten sie sich getroffen. Nach einiger Zeit hatte er sie sacht auf den Mund geküsst. Sie hatten unter einem Apfelbaum gestanden und er hatte gewusst, wie sein Leben aussehen sollte. Valérius schalt sich selbst einen Narren. Arthas hatte ihm alles genommen: seine Träume, seine Pläne, sein Leben, seine wunderschöne Frau und ihr gemeinsames Kind. Dafür würde er bezahlen.
Valérius kam seinem Heim immer näher. Er versteckte sich hinter einem Baum. Dann sah er sie: Sie saß auf kleinen Holzbank im Garten. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Valérius schluckte hart. Es fiel ihm unglaublich schwer, sich bedeckt zu halten, nicht zu ihr zu laufen, sie zu umarmen und ihr zu sagen, dass alles gut werden würde. Er merkte, wie ihm eisige Tränen über die Wangen liefen und er ergab sich den Gefühlen. Zu lange hatte er nichts mehr gefühlt. Er sah seinen Sohn in ihrem Arm liegen, ein kleines Bündel Mensch, eingewickelt in eine Decke, er beneidete das Kind um die Nähe zu der Frau, die sie beide liebten.
Dann stand sie auf. Valérius konnte das Kind nun richtig sehen. Weicher roter Flaum bedeckte sein Köpfchen, die dicken Fäustchen hatte es in die Decke gekrallt und ein sanftes zufriedenes Lächeln war auf dem schlafenden Gesichtchen zu sehen. Isabella kam näher, kniete sich unter den Baum. Jenen Baum, den er symbolisch als ersten zu ihrer Plantage gepflanzt hatte. Sie streichelte sanft den Helm, den er bei seinem Tod getragen hatte.
Valérius erstickte beinahe an der Liebe, die ihn in diesem Moment durchflutete, die das Eis im Innern zu schmelzen schien. Dieses Gefühl war brennender Schmerz, glühende Hitze und er konnte es kaum ertragen. Dann schaute er sich das Kind an. Noch hatte das Baby keinen Namen. Valérius wusste, dass es seine Pflicht war. Und es gab nur eine Möglichkeit, wie er Isabella den Namen zukommen lassen konnte. Er konzentrierte sich. Es wäre das erste und letzte Mal, dass er auf diese Art mit ihr in Kontakt treten würde. Er sammelte seine Kräfte und sprach ganz leise ein einziges Wort. Eine Verheißung, ein Hoffnungsschimmer gleichermaßen: Gereon.
Er sah, wie sich ihre Haare aufstellten, sie sah auf und in dem Moment verschwand er lautlos im Wald.