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Qsicon Exzellent Dieser Artikel wurde am 22. April 2013 als Spotlight der Woche vorgestellt.
Längste Weg-Kopf
Angus Bodin-DLW

Angus Bodkin-Illustration "Der längste Weg"

Kapitel 1

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uch in dieser Nacht lehnte er wieder mit dem Rücken an der Wand der Gefallenen im Lordaeron-Denkmal. Ein Bein ausgestreckt, eins angezogen, den Blick auf das Denkmal mit dem kunstvoll gemeißelten L gerichtet. Den Umhang hatte er enger um sich geschlungen, denn obwohl die Nächte in Sturmwind alles andere als eiskalt im Winter waren, geboten sie dennoch nicht vollkommen ohne Schutz im Freien zu nächtigen. Er schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück gegen den kühlen Stein, die Stille der Nacht genießend die nur durch das sanfte Rauschen des nächtlichen Meeres unterbrochen wurde. Ab und an hörte er noch den Ruf eines Kauzes aber sonst hätte die Welt in diesem Moment nicht friedlicher sein können.

Friedlich. Ein Wort das ihm manchmal vorkam wie aus einer anderen Welt, weit entfernt von der seinen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen er mit jedem Atemzug dafür eingestanden hatte, ihn zu wahren. Das war lange vor Sturmwind gewesen, lange vor Tyrs Hand, sogar vor der Armee. Aber die Zeit hatte mit ihm das gemacht was sie mit jedem machte. Sie hatte ihm mit der ihr eigenen Brutalität die Augen für die Realität geöffnet. Diese Welt konnte, ja wollte nicht in Frieden leben. Dafür waren allein schon die Menschen eines Dorfes zu verschieden, geschweige denn verschiedene Völker. Neid, Eifersucht, Zorn, Habgier, Hass... sie waren ebenso allgegenwärtig wie die vielgepriesenen Tugenden des Lichts und er hatte die Möglichkeit erhalten, das Zünglein an der Waage zu sein. Heute wie damals. Damals.

Damals war er allein auf der der einstigen Hauptstraße von Süderstade nach Tarrens Mühle unterwegs gewesen.

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eine Uniform, die ihn als Rekruten der Königlichen Armee vonLordaeron auszeichnete, war schmutzverkrustet und nur noch das Relikt eines Status so wie die Armee selbst, deren Soldaten entweder erschlagen oder auf der Flucht nach Süden waren. Angus hatte in den wenigen Monaten bei der Armee vor allem eins gelernt – Menschen neigten dazu in Angesicht einer übermächtigen Bedrohung den Rückzug anzutreten. Eine Haltung die er einfach nicht teilen konnte, auch wenn seine Kameraden ihn dafür für traumatisiert, verrückt oder einfach nur lebensmüde erklärt hatten. So kam es dass ihn seine Füße nach Norden in Richtung Lordaeron und Untod trugen während die erbärmlichen Reste seiner Einheit nach Süderstade zum rettenden Hafen flohen. Das letzte, was er auf diesem Weg zu treffen erwartete, waren andere Menschen mit dem gleichen Ziel.

Auf schweren Schlachtrössern reitend waren sie von Westen gekommen und hielten auf seine Richtung zu. Stolz und Zuversicht ausstrahlend ritten sie den schlammigen Weg entlang der schon etliche Kilometer zuvor aufgehört hatte, eine Straße genannt werden zu dürfen. Angus trat an den Wegesrand um den Reitern Platz zu machen. Mehrere Männer und Frauen in roten Rüstungen, die wie frisch vergossenes Blut in der fahlen Spätherbstsonne schimmerten, mit weißen Wappenröcken, welche von einer ebenso blutig roten Flamme geziert wurden. Er hatte erwartet dass sie einfach vorbei reiten würden aber statt dessen blieben sie auf ein Signal der vordersten Reiterin hin stehen. Er konnte die skeptischen Blicke auf sich regelrecht spüren, die ihn durchdringend musterten wie er in seiner fast schon zu Lumpen verschlissenen Uniform dastand mit dem blau weißen Wappenrock der königlichen Armee. Doch der Doppeladler Lordaerons, einst der Stolz von Generationen, war verkommen zu einem löchrigen, verschmutzten Jammerbild und symbolisierte so mehr als gewollt den Zustand des Königreichs.

Während ihr Pferd nervös wieherte winkte die Frau ihn näher um zu fragen was er hier suche. Er erklärte seine Absicht, den Weg über die Berge zu nehmen um nach Darroheim zu gelangen und dort gegen die Untoten zu kämpfen. Sie lachten. Aber Angus war zu entschlossen, zu stur, um sich wegen etwas Gelächter von seinem Vorhaben abringen zu lassen. Er hielt selbst dann noch an seinen Absichten fest, als der Trupp ihm mal mehr, mal weniger freundlich zu verstehen gab, wie selbstmörderisch sein Vorhaben war, noch dazu allein. Einer von ihnen spottete sogar dass der Lumpenbengel sich wohl für Uther persönlich halte. Mit einer abmahnenden kurzen Geste brachte die Anführerin den Trupp zum Schweigen, den Blick immer noch auf Angus gerichtet. Eine Weile sagte sie nichts sondern musterte ihn kritisch, während er trotzig zurückschaute.

Auch heute noch, nach all den Jahren, hörte er ihre Stimme so klar in seinen Ohren, als stünde sie gerade neben ihm.

„Wir sind der Scharlachrote Kreuzzug. Gegründet um dieses Land zu retten und von der Geißel zu befreien. Wir kämpfen für das Licht und für das Leben gegen Untod und Verfall. Wir läutern das Verdorbene mit Feuer und Schwert. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns. Bist du mit uns?“

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hre Stimme war ernst und tief und klang nach Rauch. Für einen Moment noch hatten einige ihrer Begleiter gegrinst, doch nun war jede Belustigung aus ihren Gesichtern verschwunden. Statt dessen hatte eine Anspannung von ihnen Besitz ergriffen als erwarteten sie jeden Moment das Signal zum Angriff. Vielleicht war auch genau das der Fall gewesen, doch Angus hatte es nicht als solches registriert. Statt dessen hatte er mit aller Zustimmung genickt und geantwortet „Ich bin mit euch.“

Seine Worte wurden mit einem knappen Nicken bestätigt, gefolgt von einem scharfen Fingerzeig gen Boden. Angus kniete augenblicklich nieder, den Kopf senkend. Seinen Speer legte er vor sich quer auf den Boden, darauf bedacht, die Spitze auf keinen Fall auf die Reiter zu richten. Die Frau war inzwischen abgestiegen. Sie war überraschend klein, reichte ihrem Pferd nicht einmal bis zum Widerrist. Ihre Statur war recht kräftig, aber das war zweifelsohne Muskelmasse, und ihr Gesicht wurde von einer feuerroten Lockenmähne umrahmt.

Dort, im Schlamm einer Straße zwischen irgendwo und nirgendwo kniend, hatte er den Schwur eines Scharlachroten Kreuzfahrers geleistet.

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r schloss sich dem Trupp zu Fuß an, da er zum einen Reiten nicht gewohnt war und zum anderen in der Armee als Laufbursche zwischen Offizieren und Heer fungiert hatte. Dadurch konnte er recht gut mit den Schlachtrössern Schritt halten und das musste er auch, denn das Reisetempo der Gruppe war alles andere als entspannt. Ihr Weg war weit und beschwerlich, führte hinauf in den Höhen von ewigem Schnee und Eis, an Alterac und Strahnbrad vorbei, und von da aus hinab zu Fäule und Verderbnis nach Lordaeron. Es war der anstrengendste Weg nach Norden, aber auch der schnellste.

Sie waren stets von kurz nach Sonnenaufgang bis kurz vor Sonnenuntergang unterwegs, rasteten ausschließlich wenn die Pferde verschnaufen mussten. Am Anfang überquerten sie nur Ausläufer der Bergketten, kaum mehr als Hügel, welche der Gegend auch ihren Namen gab – die Hügellande. Am Horizont jedoch erhoben sich bereits drohend die scharfen weißen Zacken des Hochgebirges von Alterac wie eine düstere Warnung. Schien in den ersten Tagen noch die fahle Sonne durch den herbstlichen Dunst wechselte das Wetter schon bald in tristes Grau und ein unangenehmer Dauernieselregen setzte ein. Die Gehöfte unterwegs waren zum Großteil verlassen, viele zerstört und niedergebrannt. Die Pferde hatten es noch am besten denn Gras gab es hier zu genüge, aber auch das wurde mit der Zeit spärlicher. Der Proviant der Reiter hingegen war dürftig. Hartes Brot, gebacken für längere Einsätze aus noch unverdorbenem Korn, etwas alter, aber noch genießbarer Käse, hin und wieder halb verdorrtes Obst, welches hier und da noch an den Bäumen hing. Nachts hockte er mit den anderen im Kreis am Lagerfeuer, so er nicht gerade für die Wache eingeteilt war. Wie auch sie blickte er in die zuckenden Flammen als gäbe es darin eine bessere, erstrebenswertere Welt zu sehen. Die anderen betrachteten ihn immer noch skeptisch und mit Argwohn, nicht zuletzt weil er einen Mund mehr bedeutete, der gefüttert werden musste, aber sie grenzten ihn nicht aus. Dies lag nicht zuletzt auch an der Anführerin, Hauptmann Shukov. Als eines Abends sein Magen so laut knurrte dass er befürchtet, die ganze Welt müsse es gehört haben, war sie zu ihm getreten, brach eine Ecke von ihrem Brotkanten ab und hielt ihm diese entgegen. Shukov sparte sich jede Art von Aufforderung denn beiden war klar, dass ein Ablehnen falscher Stolz und damit definitiv nicht angebracht gewesen wäre. Angus nahm das Brot mit einem dankenden Nicken an und zwang sich, langsam zu essen.

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ls sie nach gut drei Wochen endlich Höhen erreicht hatten, in denen selbst Nadelbäume rar wurden, erwachte er eines Morgens in einer Zauberwelt. Der Nieselregen war über Nacht zu Schnee geworden und alles war mit einer dünnen weißen Schicht bedeckt die selbst dem größten Elend etwas friedliches verlieh. Der Atem stand ihm als Wolke vor seinem Gesicht und er rieb sich die tauben Hände um sie aufzuwärmen. Sein Umhang war steif gefroren und der Frost biss ihm ins Gesicht. Mit gewohnter Routine wurde das Lager abgebrochen, doch diesmal ohne das gewohnte Plaudern dabei. Sie alle schwiegen und er wusste auch warum. Schnee hieß weniger Gras für die Pferde. Schnee hieß gefrorener Boden für die Nacht und gefrorener Boden für den Tag. Schnee hieß glatte Wege und zu Eis erstarrte Bäche.

Zwei Tage später war die hauchdünne weißen Schicht knöcheltief geworden, noch einen Tag später reichte sie fast bis zu den Knien. Angus bekam mehr und mehr Probleme mit den Reitern mitzuhalten. Schneeflocken blieben an seinen Wimpern hängen und behinderten seine Sicht. Dazu kam der ewig nagende Hunger und die Kälte, welche die Kraft aus ihm zehrten. Mit jedem Schritt sank er tief in den Schnee ein und musste seine Füße mühsam freikämpfen. Er riss Streifen von seinem Umhang und wickelt sie um die Beine um zu verhindern, dass ihm der Schnee in die Stiefel fiel, aber auch das half nicht viel. Wohl wissend, dass das Wetter um diese Jahreszeit jederzeit umschlagen konnte, drängte Hauptmann Shukov zu Eile um den schlimmsten Teil des Gebirges so schnell wie möglich hinter ihnen zu lassen und Alterac zu erreichen. Der vierte Tag im Hochgebirge begann überraschend heiter, aber binnen weniger Stunden zogen fedrig weiße Wolken auf, welche sich rasch auftürmten und sich schließlich drohend um die Gipfel legten. Unwetterboten. Doch für eine Umkehr waren sie ebenso zu weit wie für ein Ausweichen auf eine andere Route. Es blieb nur der Weg auf der Passstraße.

Dann kam der Wind, der sich bald zu kräftigen Böen steigerte. Dichter Schneefall setzte ein und raubte ihnen die Sicht. Die Hoffnung, schneller über den Pass zu sein als die Wolken die Gipfel komplett verhängen konnten, hatten sie bald aufgeben und auf die Suche eines Unterschlupfes abändern müssen. Meter um Meter kämpften sie sich schweigend auf dem schmalen Pfad voran, welcher auf der einen Seite von einer Felswand, auf der anderen von einem Absturz ins Nichts begrenzt wurde. Immer öfter brauchte Angus zwei Anläufe ehe er die völlig durchnässten Stiefel aus dem Schnee gehoben bekam, bis er schließlich den Halt verlor und vornüber in den verwehten Schnee stürzte, der ihn augenblicklich verschluckte. Wenige Augenblicke später packte ihn eine rot gepanzerte Hand am Kragen und zerrte ihn in die Höhe. Shukov. Wie auch die anderen war sie abgestiegen. Ihr reichte der Schnee sogar noch über die Knie, doch davon ließ sie sich nicht beirren. Den weiteren Weg führte sie ihr Pferd an den Zügeln den vermuteten Pfad entlang.

Kurz nach dem gefühlten Mittag ließen die ersten ihr Leben. Eines der Pferde verfehlte den sicheren Boden und stürzte den Abhang hinunter, seinen Herrn mit sich zerrend der es noch zu halten versuchte. Ein anderes brach sich auf dem unsicheren Grund ein Bein und musste erlöst werden. Sein Leben jedoch rettete die ihren denn das Fleisch des Tieres wurde nicht verschwendet zurückgelassen. Kleine Happen aßen sie direkt roh ehe es gefror, da der Hunger einfach zu groß und die Lage zu riskant war für ein garendes Feuer. Ein Teil des Blutes wurde in einem Becher aufgefangen und herumgereicht. Angus fühlte wie ihm ein Kloß den Hals zudrückte während sein Blick dem Becher folgte, von Hand zu Hand, Mund zu Mund. Die Gesichter verrieten nichts. Kein Ekel, kein Genuss, einfach nichts außer der üblichen Kontenance. Dann ging der Becher zu Shukov, die ihn schweigend direkt weiterreichte ohne den Inhalt zu trinken. Zwei weitere taten es ihr gleich und schließlich wurde er Angus entgegen gehalten.

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r konnte sich sogar noch daran erinnern, wie wohlig warm der Becher sich zwischen seinen kalten Fingern angefühlt hatte. Es war zwar schon erheblich abgekühlt aber noch immer züngelte zarter Dampf aus dem Becher auf. Angus war hin und her gerissen. Auf der einen Seite war es etwas warmes in dieser eisigen Kälte. Auf der anderen Seite war ihm allein der Gedanke daran zu wider. Aber hatte er gerade das Recht wählerisch zu sein? Er hielt die Luft an, hob den Becher an die Lippen und trank. Die Wärme war wohltuend und er versuchte sich genau darauf zu konzentrieren bis sein Magen ihm deutlich klar machte, dass Wärme allein keine Entschuldigung war. Er reichte den Becher rasch weiter und versuchte den aufsteigenden Brechreiz zu unterdrücken, aber zwecklos. Am liebsten wäre er vor Scham in den Boden gesunken, während er mit um sich sich geschlungenen Armen und vornüber gebeugt am Rand stand und sich übergab. Er wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und atmete zweimal tief durch um zu prüfen, ob sein Magen wieder beruhigt war. Innerlich verwünschte er sich selbst für seine Dummheit, war er jetzt nicht nur das Pferdeblut sondern auch noch das klägliche Frühstück los. Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter. Angus schaute auf, direkt in das Gesicht von Hauptmann Shukov. Doch anders als erwartet gab es weder Spott noch Schelte, statt dessen nickte sie ihm zu, wohl als Zeichen, dass es in Ordnung war. Eine fast schon peinliche Erleichterung erfüllte ihn, als er sah, dass er nicht der einzige war dem es so erging. Inzwischen hatten sich andere daran gemacht den Kadaver des Pferds weiter zu zerlegen. Was getragen werden konnte, wurde verpackt und verstaut, die Kälte konservierte es von ganz allein.

Von Stunde zu Stunde nahmen die Böen zu bis sie bei beginnender Dämmerung zum Sturm wurden. Der Schnee, den er mit sich trug, war wie abertausende winzige Nadeln aus Eis die ihnen ohne Unterbrechung entgegen schlugen und blutige Einstiche auf der Haut hinterließen. Wer konnte hüllte sich in Umhang und Wolle um Wind und Eis so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Die Kälte ließ den Atem binnen eines Augenblickes gefrieren und die schweren Plattenrüstungen waren rasch mit einer Schicht aus Eis überzogen. Angus konnte sich nicht mehr wirklich an das Gesicht des Mannes erinnern, der auf dieser Strecke vor ihm gelaufen war, aber er erinnerte sich daran, dass ihn fast jedes mal, wenn er wieder zu stürzen drohte, dessen Hand gepackt und ihn gehalten hatte. Ebenso wie ihm sein breiter Rücken Schutz vor dem schlimmsten Sturm geboten hatte.

Der Unterschlupf, den sie kurz vor Einbruch der Dunkelheit erreichten, konnte man kaum als solchen bezeichnen. Ein kleines Plateau unter einer vorspringenden Felswand, von Krüppelkiefern und abgebrochenen Felsbrocken umrandet, die wenigstens ein bisschen Schutz vor dem beißenden Eissturm boten. Der Wind jaulte und tobte als wäre er wütend darüber, dass sie sich seiner Macht zu entziehen versuchten. Mit Schwertern, Äxten und Schilden hatten sie eine Kuhle in den steinhart gefrorenen Boden geschlagen und darin ein Lagerfeuer entzündet, welches eher Ruß und Qualm statt Wärme spendete. Trotz des Unwetters wäre es absolut närrisch gewesen, ohne Wache zu verbleiben, denn im Gegensatz zu ihrer kleinen Gruppe konnte das Wetter einem Untoten nichts anhaben. Einem oder hunderte oder tausende. Ab einer gewissen Zahl hörte man einfach auf darüber nachzudenken.

Es war gefühlt irgendwas kurz vor Mitternacht als seine Wache begann. Während er sich aufrappelte schweifte sein Blick hinüber zu der Gruppe, die eng an eng liegend sich gegen den schützenden Fels presste während er zum Schutz gegen den Sturm die Schultern hochzog. Bis es von Schwärze zu Dunkelheit dämmerte würden dennoch noch viele Stunden vergehen und das mickrige Ding von Lagerfeuer neben ihm kämpfte genauso ums Überleben wie sie selbst. Drohend pfiff der Wind um die Berggipfel und zerrte an den Fetzen seines Umhangs als wollte er ihn nicht vergessen lassen, dass er jederzeit zurückkehren könnte um ihm den Garaus zu machen.

Angus klemmte sich den Speer unter den Arm und hielt die Hände ein wenig über das kleine Feuer. Er versuchte die steifen Finger ein wenig zu bewegen und verzog das Gesicht. Das Gefühl war ihm schon länger aus den Fingerkuppen gewichen, aber er konnte sehen wie sich die Finger regten. Der breite Wollstreifen, welchen er sich zum Schutz vor den beißendem Frost um Nase und Mund geschlungen hatte war derweil steinhart gefroren und eisverkrustet. Seine Ohren schmerzten als wären sie selbst zu Eis geworden und das Blut an seinen vom Frost geplatzten Lippen war gefroren. Er warf einen Blick auf seine Stiefel, die fast vollkommen im Schnee versteckt waren. Zumindest hatte er die Absicht seine Füße zu bewegen, doch ob sie es taten wusste er nicht. Wenn er lief fühlte es sich an als würde er schweben da er nicht sagen konnte ob der Fuß nach einem Schritt schon wieder den Boden berührte oder nicht.

Ein Knuffen an der Schulter ließ ihn zusammenschrecken, dazu ein mahnender Blick des Kameraden, der die Wache mit ihm teilte. Sich hier ablenken zu lassen konnte tödlich sein. Angus nickte knapp als Zeichen dass er verstanden hatte und straffte die Schultern, den Speer nun wieder mit beiden Händen festhaltend. Auch wenn die Waffe erheblich größer war als er selbst und er keineswegs in der Lage war diesen zu werfen wie ein gelernter Speerkämpfer so gab er ihm doch ein Gefühl der Sicherheit und des Halts, ganz so als wäre es sein ganz persönlicher Strohhalm. Für die nächsten Stunden standen er und der andere Wächter Seite an Seite auf dem kleinen Klippenvorsprung während ihm der Frost tiefer und tiefer unter jeden Zentimeter Haut kroch. Sie sprachen kein Wort, denn zum einen lenkte Reden zu sehr ab, zum anderen kostete es Kraft die sie beide nicht entbehren konnten.

Irgendwann, immer noch weit vor der Dämmerung, ließ der Wintersturm langsam nach. Riesige Schneeflocken hatten die Eisnadeln abgelöst und wirbelten in einem hektischen Tanz um ihm herum zu Boden bis er seine Stiefel nicht mehr sehen konnte. Seine mit Fell umwickelten Hände hörten allmählich auf vor Kälte zu schmerzen und nach einer Weile hatte er sogar das Gefühl, als würden seine Finger regelrecht vor Hitze glühen. Eine Erfahrung, die er schon in früheren Wintern gemacht hatte. Er blinzelte träge denn es war nicht nur die Kälte die ihn gerade am meisten zu schaffen machte, sondern auch der Hunger und vor allem die Müdigkeit. Die Hände rutschten immer wieder vom glatten, eisüberzogenen Holz der Waffe und immer öfter ertappte er sich dabei, wie er weg zu dämmern begann nur um kurz darauf aufzuschrecken.

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r wusste noch, dass die beißende Kälte mehr und mehr einer wohligen Wärme gewichen war, die ihn nur noch schläfriger gemacht hatte bis er die Augen nicht mehr hatte offenhalten können und er umgekippt war. Bruchstückhaft erinnerte er sich daran, wie der andere ihn am Arm gepackt und geschüttelt hatte um ihn zu wecken. Erinnerungsfetzen. Wie er neben dem Lagerfeuer der Gruppe lag, Shukovs Gesicht über ihm, während sie ihm irgendwas ins Gesicht schrie und ihr Umhang um seinen Schultern lag. Die unerträgliche Kälte, die ihm mit langen Fangzähnen in die Füße biss. Die Hitze des eingeflößten Alkohols in seinem Mund, dann in seinem Leib. Das Danach war Finsternis.

Bis heute vermochte er nicht zu sagen ob er sich das dumpfe Gemurmel um ihn herum und das Zucken seines Körpers eingebildet hatte. Er wusste nur dass er irgendwann wieder ins Bewusstsein zurück getaumelt war und sich alles Übelkeit erregend um ihn gedreht hatte. Mit Gewissheit wusste er dass mindestens einmal Shukov neben ihm gewesen war während er in Umhängen und Fell eingewickelt auf einem trockenen Lager aus Stroh gelegen hatte, vermutlich eine Scheune in Alterac. Ihm war heiß gewesen, so furchtbar heiß und dennoch hatte er gleichzeitig vor Kälte gezittert. Sein rechter Fuß war zunächst taub, doch je klarer sein Kopf und seine Wahrnehmung wieder geworden waren, um so stärker hatten sich pochende Schmerzen ausgebreitet, bis sie ihm schließlich Tränen in die Augen getrieben hatten.

Es hatte Tage gedauert bis Angus wieder soweit bei Kräften war, dass der Trupp die Festung Alterac verlassen konnte. Der Himmel war klar und ließ den Schneesturm wie einen surrealen Albtraum wirken. Den Weg hinab nach Lordaeron ritten sie. Angus saß im Sattel vor Hauptmann Shukov, die ihn mit einem Arm festhielt während sein dick bandagierter Fuß kraftlos an der Flanke des Pferdes baumelte. Gefühlt endlose Tage später zeichneten sich endlich die Wachtürme der Festungsanlage von Tyrs Hand durch die gelbbraunen Dunstschleier ab und...

Ein Glockenschlag zerriss die Stille des Morgens und ließ ihn aus dem Schlaf hochschrecken. Die Zeit der Morgenmesse war nicht mehr fern, der Frieden seines Zufluchtsortes vorbei. Träge schon Angus sich an der gravierten Wand empor, dehnte und streckte sich, ehe er den Weg in Richtung Kathedrale ging, die Erinnerungen hinter sich lassend.

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