Fortsetzung aus: Der Weg zu Adona'jin
Das Gesetz des Dschungels[]
Quenzhal war noch sehr jung gewesen. Nicht mehr als ein heranwachsendes Dingo, das gerade dem Welpenalter entronnen war. In den Ruinen der Blutskalpe. Im grünen Dschungel des Schlingendorntals. Doch es war nicht ihre Heimat. Die Blutskalpe hatten sie zu sich genommen, als ihr Dorf .. ein Dorf der letzten Dunkelspeere im Dschungel von Menschen zerstört worden war. Zerstört, weil es einer Straße im Weg stand, die sie durch den Dschungel nach Beutebucht bauen wollten. Sie war eine der wenigen überlebenden Welpen gewesen, die die Menschen verschont und zum sterben im Dschungel zurückgelassen hatte. Den Wildtieren überlassen. Sich selbst und ihrem Schicksal überlassen, damit sie diese Bluttat an wehrlosen Trollwelpen nicht zu ihren heldenhaften Taten schreiben mussten.
Bruder[]
Doch die Blutskalpe hatten dem Schauspiel aus dem Versteck des tiefen Dschungelgrüns beigewohnt, den kleinen Trollwelpen gefunden und für stark genug erklärt, um lebenswürdig zu sein. Sie hatten sie in ihr Dorf genommen und aufgezogen. Und mit ihr auch einen anderen jungen Welpen aus einem fremden Stamm: Adona’jin. Ihren Ziehbruder. Früh hatten die Blutskalpe Quens Begabung zur Jujuverhexung erkannt und sie war in den Anfängen, um an die Ausbildung zu einem Hexendoktor herangeführt zu werden. Jene Priester, die ihre Macht auch von der dunklen Seite des Jujus bezogen und die uralten Riten der Dschungeltrolle vollzogen.
Ihr Bruder hatte wenig Begabung dafür, doch er entwickelte sich zu einem exzellenten Jäger, der bald seine Altersgenossen in den Schatten stellte. Und doch waren sie beide Außenseiter. Denn sie mit dem grünen Haar der Dunkelspeere und er mit dem unverkennbaren blauen Haarschopf würden sich immer vom Rot der Blutskalpe unterscheiden. Niemals würden sie wirklich Teil dieses Stammes sein. Und Adona’jins Erfolg brachte ihm Missgunst. Missgunst auch wegen seines Erfolges bei den Weibchen. Missgunst von höchster Stelle aus der Sippe des Häuptlings und seinen finsteren Bokuren.
Eines Tages kamen die jungen Jäger von einem Beutezug in den Dschungel zurück. Aber nicht alle liefen. Einer wurde über der Schulter getragen, so wie die anderen toten Tiere, die sie erlegt hatten: Adona’jin. Als Quen hörte, dass es einen Toten geben hatte, warf sie die Geistketten, an deren Herstellung sie gerade gearbeitet hatte, weg und sprintete heran. Fassungslos starrte sie die Gruppe an, als sie erkannte, wen sie da trugen. „Unfall, maan.“ Kommentierte einer der Jäger, der in der Gunst der Bokuren stand, beiläufig und warf mit einem hämischen Grinsen den toten Körper wie ein Stück Fleisch in den Staub vor dem Stammesfeuer, ehe er sich ihr zuwandte. „Sag’n adios, Dingo. Morg’n Nacht wer’n ea brenn’.“
Quen stand der Mund offen, als der Jäger seine Hauer vor Vorfreude auf dieses Ereignis blekte und sie mit einem demonstrativen Schulterstoß rempelte, als er an ihr vorbeiging. Sie hatte keine Worte für das Bild, was sich ihr bot. Hilfe suchend wandte sie sich ihren Zieheltern zu, doch diese nickten den Jägern, dem herbeigekommenen Häuptling und dessen Bokuren ernst zu und wandten sich mit stummer Mine wieder ab, ohne die junge Trollin mit dem grünen Haarschopf auch nur eines Blickes zu würdigen. Und eines konnte Quen in ihren Gesichtern überhaupt nicht erkennen: Trauer. Oder Verlust.
Nicht vergessen[]
Das war der Dschungel. Das war sein Gesetz: Die Schwachen werden sterben. Dies war die Welt der Blutskalpe. Doch ihr Bruder war nicht schwach gewesen, das wusste sie und Quen wollte ihn nicht verlieren. Er war das einzige, was sie hatte. Die Herkunft aus anderen Stämmen hatte sie zusammengeschweißt. Er war der einzige, den sie ihre Familie nannte. Und sie konnte nicht zulassen, dass er morgen Nacht wie ein Stück faulendes Fleisch verbrannt werden würde, um seinen Geist in das ewige dunkle Jenseits zu schicken … in die Vergessenheit. Das Wissen um seine Existenz ein für alle mal auszulöschen. Und so fasste sie einen Plan.
Des Nachts – einen Tag vor der Verbrennung schlich sie sich aus der Sippenhütte. Hin zu dem Holzstoß ein wenig abseits vom Dorf, auf dem ihr Bruder in dunkelblaue Tücher eingewickelt war. Keine Fetische waren ihm zur Seite gelegt. Keine Trophäen, die die Geister für seine Ankunft im Großen Dunklen Jenseits gnädig stimmen sollten oder die von seinen Ruhmestaten kündeten. Keine Totenwache hielt den Schutz über seinen Körper vor den wilden Tieren. Nicht einmal seine Waffen waren bei ihm. Es sollte eine Verbrennung ohne Respektsbekundungen werden. Ohne die Kriegerehren. Eine Reise in die Vergessenheit für jemanden, der nicht vom Stamm geachtet wurde, aber auch keinen Feindesstatus hatte. Alles geschah mit einer erschreckenden Gleichgültigkeit. Doch ihr war er nicht gleichgültig. Das hier war ihr Bruder.
Langsam schlug sie im Schutz der Dunkelheit die Tücher zurück. Wie lange sie ihn schweigend betrachtete, um dieses Gesicht niemals zu vergessen, wusste sie nicht, aber irgendwann riss sie sich zusammen und tastete nach seinem Hals. Sie wusste, dass er stets eine Kette unter dem Hemd getragen hatte. Daran befestigt, war ein winziger Lederbeutel und sie wusste auch, dass er diese Kette stets mit großen Stolz getragen hatte, auch wenn sie nie erfahren hatte, was sich in dem Beutel befand. Vorsichtig löste sie das Lederband der Kette und streifte es ihm ab. Nach allen Seiten schaute sie sich um, denn sie wusste nur zu gut, wie der Stamm es aufnehmen würde, was sie da tat. Als sie den geöffneten Lederbeutel mit der Kette in der Klaue hielt, erstarrte sie. Es war das reich geschmückte Symbol der Dunkelspeere. Ihres Stammes. Er war ein Stammesbruder.
Wieso hatte er das nie gesagt, ging es ihr durch den Kopf. Wollte er so sehr einer der Blutskalpe werden, dass er seine Herkunft verleugnet hatte? Und doch war dieses Symbol ihm wichtig gewesen und das war alles was Quen wissen musste. Es hatte das Potential für einen mächtigen Fokus. Ohne zu zögern nahm sie das Symbol aus dem Beutel. Jetzt würde sich zeigen, was sie alles gelernt hatte. Jetzt würde sich zeigen, wie stark ihre Verbindung zum Mojo war.
Die leisen Ritualgesänge, die kurz darauf durch die Dunkelheit des schlafenden Dschungels raunten, weckten die Aufmerksamkeit manch nächtlichen Jägers und doch näherte sich kein wildes Tier. Leise erhob sich der Wind über dem Platz und es war als ob die leise rauschenden Blätter der Bäume in den monotonen Kanon einstimmten und mit ihm die säuselnden Wellen des Meeres. Wie im Trance formten die Lippen der jungen Trollin immer wieder die uralten Worte, die sie von den Hexendoktoren des Stammes gehört hatte. Und der Rhythmus ihres Herzens war wie das Schlagen der Stammestrommeln. Sie nahm ihre Umgebung nicht mehr wahr. Nur das Raunen der Geister des Dschungels begleitete sie…
Zerrissen[]
... Bis sich eine feste Klaue auf ihre Schulter legte, an ihr schüttelte und sie aus ihrer Trance holte. „Dingo…!“ ertönte eine feste ärgerliche Stimme. Das Ritual war unterbrochen. Quen schlug mit einem japsenden Geräusch irritiert die Augen auf und erkannte, wie die große Gestalt eines Bokurs der Blutskalpe sich über ihr auftürmte. „Erklärn mia … was das hia wer’n, Dingo!“ Forderte er mit langsamer, zorniger Stimme zu wissen. Quen war erschüttert. Sie brachte kein Wort über die Lippen. Einzig das Symbol der Dunkelspeere, welches ihre Klaue umklammerte, gab ihr in diesem Moment so etwas wie Beruhigung. Sie hatte ein Tabu gebrochen. Sie hatte versucht den Geist eines Trolls zurückzuholen, der vom Stamme dem Tod geweiht worden war. Und das würde Konsequenzen haben. Es war das Gesetz des Stammes.
Am nächsten Morgen fand sie sich in einem Käfig wieder. In dieser Nacht würde sie mit ihrem Bruder zusammen brennen. Zum Opfer für den Blutgott. Sie hatte sich durch ihre Tat den Respekt des Stammes verspielt. Und niemand, absolut niemand würde etwas dagegen unternehmen. Niemals zuvor hatte sie sich dermaßen eingeschränkt gefühlt. Und dieses Gefühl machte sie rasend ... rasend vor Wut.
Die Hexendoktoren des Stammes bereiteten währenddessen vor ihrem Käfig ein Ritual vor. Gleichgültig, vielleicht ein wenig belustigt, schauten sie der jungen Trollin zu, die noch immer versuchte, unter den Augen der versammelten Blutskalpe mit lautem Wutgebrüll die dicken Bambusstäbe des Käfigs auseinander zu biegen. Finstere Gesänge erklangen bald darauf im ganzen Dorf und die Trommel hallten im bedrohlichem Rhythmus durch den Dschungel. Grimmig und stumm, manche auch teilnahmslos, blickten die anwesenden Mitglieder des Stammes auf die Hexendoktoren … und vor allem auf sie. Die Blutskalpe würden nicht zulassen, dass sie das hier erlernte Wissen mit zu den Geistern nahm. Das Wissen um die Rituale der Blutskalpe blieb einzig und allein in ihrem Kreis, selbst über den Tod hinaus.
Die schweren Dämpfe der verbrannten Kräuter in den Räucherschalen, die ihr in die empfindliche Trollnase stiegen, der monotone dumpfe Klang der Stammestrommeln und die Gesänge der Trolle benebelten ihre Sinne und nahmen ihr langsam, aber unaufhaltbar das Bewusstsein. Ihre Wut verebbte unter dem hypnotisierenden Bannkreis der Trommeln und Kräuterdämpfe. Ihre Klauen lagen locker an den Bambusstäben des Käfigs. Sie versuchte nicht mehr, sie aufzubrechen. Sie versuchte nur noch bei Bewusstsein zu bleiben. Einer der alten Bokuren baute sich vor ihrem Käfig auf. In der einen Klaue hielt er einen knorrigen Fetischstab, der mit Schrumpfköpfen, Skalps, Fellresten und Tierklauen reich geschmückt war, während er mit der anderen Klaue, langsam in ihre Richtung langte.
Quen sah die messerspitz zugefeilten Krallen auf sich zukommen und wich schwach zurück. Doch wohin hätte sie gesollt in diesem Käfig. Der Bokurs blickte sie grimmig aus seinen blutroten Augen an, stieß mit einem lauten Ruf den Fetischstab hart auf den Boden auf und begann seine dunklen Gebete zu sprechen, während Schattenschwaden aus seiner halb offenen Klaue auf die junge Trollin zukamen. Quen spürte, wie ein Teil von ihr hinweg gezogen wurde in die Schatten. In die Dunkelheit. In das Vergessen. Und sie konnte sich nicht im geringsten dagegen wehren.
Dass plötzlich ein Tumult das Ritual unterbrach, nahm sie kaum noch wahr. Dass eine wilde Kriegsmeute der Dunkelspeere in das Lager stürmte und ein Blutbad unter den Blutskalpen anrichteten, bemerkte sie kaum. Durch den Schleier der nahenden Ohnmacht spürte sie irgendwann eine Klaue an der Kette um ihren Hals. Die Kette ihres Bruders. Und wie in einem fernen Traum hörte sie einen Ruf. „Hia sein eine!“ Aber Quen war der Bewusstlosigkeit schon zu nahe, als dass sie hätte reagieren können.
Fortsetzung in: Der Weg zu Adona'jin - Teil 3