Kein Omen hätte sie darauf vorbereiten können, was kam. Keine düstere Prophezeiung, keine Schätzungen der Späher, keine zynische Vorahnung der anderen Soldaten. Niemand hätte irgendwie begreifbar machen können, wie es sein würde, zu sehen, wie immer mehr Orkkrieger schreiend die Treppen hinaufdrängen würden, wie Blutelfenhexer und Verdammte der Untoten Feuer, Eis und Macht knisternd durch die nächtliche Luft senden würden wie stofflich gemachtes Verderben. Sie hatten Krieg erwartet. Sie waren in ein Gemetzel geraten. Müde ließ Kathul Silbergreif den müden Blick über das schweifen, was vom Orden des Erbauers aus Tirisfal zurückkehren würde. Erleuchtet vom geisterhaften Schimmer des Dalarankraters, taten Heiler der Allianz ihr bestes in dieser Schlacht nach der Schlacht, um dem Tod die wenigen Seelen zu entreißen, um die zu kämpfen es sich noch lohnte. Knappe Veyt, den sie selbst zusammen mit dem Priester Schattenschlag, Dame Iraja und Soldat Desther noch vom Schlachtfeld getragen hatte, war bleich unter dem ganzen Blut. Irgendwer schien wie von Sinnen auf ihn eingestochen zu haben, um ihn dann irgendwo im Dreck liegen zu lassen. Der Seenhainer hatte es wohl seiner jungen Konstitution zu verdanken, oder auch dem Glück, dass er das tatsächlich überlebt hatte. Noch. Arken van Roth lag leblos da, die Augen wie im Schlaf geschlossen. Die Axt eines Orks hatte ihn in die Seite getroffen, direkt da, wo schon wieder Blut durch den erst frischen Verband drang. Ein Priester betete neben ihm fieberhaft um das Überleben des Ritters, während zahlreiche andere Wunden von den geübten Händlern der Heiler gereinigt und versorgt wurden. Mit trockenem Mund sah Litonja wieder weg. Beten wäre wahrscheinlich das einzige, was auch sie noch für den Ritter tun könnte, doch ihr wollten keine Worte einfallen. Darrgosch Steinschlag war schon wieder auf den Beinen, wohl auch nur dank der stoischen Ausdauer, die einem Zwergen zu eigen war wie die geringe Körpergröße. Sein heiserer Bass sang ruhig die Zeilen der 'letzten Wacht', während ein Medicus neben ihm besorgt die Wunden des Vas-Kathul musterte, die aussahen, als wäre er nur mit Axt und Stolz gerüstet gegen die entfesselten arkanen Gewalten der Horde angestürmt... Was vermutlich auch der Fall war, wenn Silbergreif die wenigen Momente der Schlacht, die ihr noch klar im Gedächtnis liegen geblieben waren, rekapitulierte. Kathul Gomore stand da, in seinen Händen der blutverschmierte Rest eines Banners, ein Anblick, der sie mit mehr Wucht traf als jede Faust es könnte. Dieses Banner war ein Zeichen, klar wie eine zuschlagende Tür, wie Flammen über einer geschleiften Stadt, wie blank gezogene Waffen in der anderen Schlachtreihe. Der zweite Kader würde nicht mehr zurückkehren. 28 Tote würden in Tirisfal bleiben, im Feindesland, das viele von ihnen einst Heimat nannten. 28 Tote, die dem Erbauer Treue geschworen hatten, die mit ihr fluchend im Dreck gelegen hatten, die mit ihr gejammert hatten, wenn man für einen feierlichen Augenblick die kneifenden Festtagsuniformen anlegen musste, die ihr Kniffe und Tricks gezeigt hatten, die weit über den Soldatenalltag hinausgingen. 28 Namen, Gesichter, die verunstaltet auf der Insel bei Lordaeron kalt wurden. Und sie war nicht dabei. Missmutig langte Litonja Silbergreif nach ihrem Flachmann und nahm einen tiefen Schluck, ehe sie sich aufmachte, nach dem kümmerlichen Rest des Ordens zu sehen. Kein Omen, keine Prophezeiung, kein genau erklärter Plan hätte sie darauf vorbereiten können. Sie hatte damit gerechnet, zu sterben. Und jetzt hatte sie überlebt.